Dienstag, 20. November 2018

Der Klang von fallendem Schnee – Auf Expedition durch die Antarktis


Stille… Wie fühlt es sich an, wenn ein Lebenstraum in Erfüllung geht? Ich glaube, in solchen Momenten ist man sprachlos vor Glück. Es war wie eine Reise zu einem fremden Planeten in einer unbekannten Zeit – als wäre man völlig losgelöst von allem. Kein Mensch. Keine Zivilisation. Nichts. Nur im Meer treibende Eisberge umgeben von einer eisigen Landschaft mit steilen Gletschern, hohen Bergen und einer atemberaubenden Tierwelt. Und in mitten all dem unser winziges Schiff, dass im Hafen in Ushuaia noch so riesig wirkte. Doch hier herrschen andere Dimensionen. Alles ist größer, gewaltiger und irgendwie surreal. 

Mit 116 anderen Passagieren aus aller Welt ging ich an Bord des Expeditionsschiffs MV Ortelius. Über zwei Tage dauerte die Überfahrt durch die Drake-Passage zur Antarktis. Auch zu vergleichen mit einer 48-stündigen Achterbahnfahrt. Je weiter wir in das offene Meer fuhren, desto unberechenbarer schwankte das Schiff zu allen Seiten. Die Crew setzte sich neben den Schiffsarbeitern aus Biologen, Geologen, Fotografen, Bergsteigern und anderen Outdoor-Experten zusammen, welche uns für die nächsten Tage mit auf Expedition über den weißen Kontinent nahmen.


Tag 1 
0 Grad. Ich trug wirklich alles, was mein Rucksack hergab. Mit unzählige Schichten Kleidung, schweren Schneeschuhen und Rettungsweste konnte ich mich anfangs kaum bewegen. Das Eis reflektierte so hell, dass man die Augen ohne Sonnenbrille kaum offen halten konnte. Die steile Gangway des Schiffes hinabgehend gelangte man zu massiven Schlauchbooten, auch Zodiacs genannt. Blau-weißen Eisschollen ausweichend rauschten wir über die Wellen bei 'Orne Harbour' und bestaunten die gigantischen farbenreichen Eisberge und steilen Gletscher am Rande hoher schneebedeckter dunkler Berge. Schneelawinen türmten sich weit oben zwischen den Spitzen, welche jeden Moment zu brechen drohten. Ich konnte noch gar nicht realisieren, wo ich da gerade war. Am Abend riss uns eine Durchsage aus dem Schlaf. Es wurden Buckelwale gesichtet. Die bereits untergegangene Sonne färbte den Himmel noch immer leicht rosa. Unter dem Schiff hindurchtauchend kam ein Wal wasserspritzend an der Oberfläche zum Vorschein und verabschiedete sich mit einem Schwanzflossenschlag Richtung Horizont.

Tag 2
Ruhe. Kein Wind. Keine Welle. Glasklar spiegelten sich unzählige Eisberge und Eisschollen im Wasser. Nur das Motorengeräusch des Schiffes brach diese Stille. Mit den Zodiacs setzten wir über zur chilenischen Basis der Antarktis. Und da war er: Der Moment, an dem ich das erste Mal meinen Fuß auf den 7. Kontinent setzte. Ich legte mein Rettungsweste ab und warf mich so wie ich war in den Schnee. Die gesamte Gegend war übersäht mit Gentoo-Pinguinen, die im Wasser Eisschollen erklommen, über schmale Wege (sog. Pinguin-Highways) durch den Schnee watschelten, eifrig Nester bauten und uns neugierig betrachteten. Ich kam aus dem Staunen gar nicht mehr heraus… über die Pinguine, die aufgebrochenen Seen, die weiten Gletscherhänge, die schwarzen mit Schneemassen bedeckten Berge sowie über den grauen und doch so hellen Himmel, der die Farben im Eis noch mehr erstrahlen ließ.

Tag 3
Es geht hoch hinaus. Mit Eisaxt, Gurt, Wanderstöcken und Schneeschuhen ausgestattet brachen wir an der Brown Station zum Mountaineering auf. Dicke Flocken fielen vom Himmel und bedeckten die gesamte Landschaft unter einer dicken Schneeschicht. Mit jedem Höhenmeter wurde der Anblick atemberaubender. Wir kletterten mit Hilfe von Eisäxten auf die schwarze Bergspitze. Hier stand ich nun – mit Martin, einem Bergsteiger, welcher bereits den Everest erklommen hat. An Seilen aneinander geknotet liefen wir weiter über einen unbefestigten Schneehang zwischen den Bergen. Rein gar nichts war zu sehen, außer ein Meer von Weiß und die Fußspuren, die wir im Schnee hinterließen. Stille. Keiner sprach. Keiner fotografierte. Wir blickten eine Weile einfach nur auf die dunkle mit Eisschollen bedeckte Bucht, die sich vor uns auftat – überwältigt von diesem Anblick.

-1 Grad. Zeit für den Polar Plunge! Das heißt: Nicht lang nachdenken, sondern Sachen aus und rein! Mit lauten Schreien rannten wir ins Meer. Als das eisige Wasser mich umschloss, sagte alles in meinem Körper nur: Nichts wie raus hier. SOFORT! 1000 Nadelstiche durchbohrten meinen Körper. Ich fühlte mich unfähig auch nur einen klaren Gedanken zu fassen. Jegliches Gefühl wich aus meinen Zehen, so als wären sie in dem Moment abgefallen. Die draußen Wartenden hatten sicher mehr Spaß bei den verzerrten Gesichtern…  :)

Tag 4
Windstille. Ein gutes Zeichen für unsere bevorstehende Paddel-Tour. Die aus der weißen Landschaft rot hervorstechenden Kayaks schwebten förmlich über das ruhige Wasser. Eisgletscher brachen in das Meer und elegant durch das Wasser springende Pinguine kreuzten unseren Weg. Vorbei an großen blauen Eisbergen schlängelten wir uns zwischen treibenden Eisschollen hindurch. Dumpfe Geräusche ertönten, wenn das harte Eis an den Kayaks entlang schabte. Robben auf einer großen Eisscholle streckten ihre Köpfe hinauf als sie uns entdeckten. Mehr und mehr zog sich der Himmel zu und die See wurde rauer. Höchste Zeit zurück zum Schiff zu kommen… 

Nicht die besten Wetterbedingungen für unsere geplante Camping-Nacht unter freiem Himmel. Immer dickere Schneeflocken fielen herab als wir an der tief verschneiten kleinen Insel 'Leith Cove' anlegten. Mit großen Säcken voller Ausrüstung schlugen wir unser Camp auf der Insel auf. Kein Zelt! Mit Schaufeln hoben wir Schneelöcher als Schlafplätze aus, welche uns als Windschutz dienen sollten. In zahlreiche dicke Schlafsäcke gepackt lauschte ich in die Umgebung. Völlige Stille. Nichts war zu hören. Nur der Klang von fallendem Schnee. Es war bereits nach Mitternacht und noch immer so hell als wäre es gerade Dämmerung. Das war einfach alles viel zu unglaublich. Ich campte unter freien Himmel in einem Eisloch umgeben von Gletschern, Pinguinen und Robben in der Antarktis. Was soll man dazu sagen? Worte reichen hierfür kaum.

Tag 5
Heute setzten wir unseren Fuß auf historischen Boden. Wir besuchten 'Port Lockroy', eine alte britische Forschungsstation, die nun Museum und Postamt ist. Man kann doch tatsächlich Postkarten aus der Antarktis verschicken. Ich bin gespannt, ob und wann die ankommen. Ein offizieller Antarktis-Stempel durfte im Reisepass natürlich auch nicht fehlen. Die Einnahmen aus einem kleinen Souvenirladen finanzieren die Erhaltung dieses Ortes.

Tag 6
Zerfallene Häuser, alte Schifferboote, rostige Überreste von Fabrikanlagen und hinter einer Hütte liegende schneebedeckte Gräber… Wer diese Menschen wohl waren? Ich fühlte mich wie im Film als ich an dem verlassenen Ufer auf 'Deception Island' entlanglief. Noch heute sind auf dieser aktiven Vulkaninsel die Überreste einer alten Wal-Fang-Station sowie einer britisch-antarktischen Forschungsbasis zu sehen. Stück für Stück erschlossen wir mit den Guides die höheren Regionen der Insel. Ein Schneesturm zog auf und fegte über das verschneite, schwarze Vulkangestein hinweg. Auf dieser letzten Wanderung wurden wir also nochmal mit richtigem antarktischem Wetter verabschiedet.

Für mich hätte diese Expedition nicht schöner sein können – gerade weil jedes Abenteuer so unvorhergesehen war. Die Crew hat stets flexibel auf jegliche Wetterbedingungen reagiert und aus jeder Situation das Beste gemacht. Ich durfte wunderbare Menschen aus aller Welt kennenlernen. Und so unterschiedlich die Gruppe von der Herkunft, dem Alter und den Interessen auch war, sind auf diesem kleinen Expeditionsschiff wohl so einige Freundschaften fürs Leben entstanden.

Der Abschied fiel diesmal besonders schwer, da es auch ein Abschied meiner Weltreisezeit ist. Ich bin glücklich und dankbar all das erlebt haben zu dürfen. Nun steht der letzte Flug nach Mailand an, von wo es über Land zurück nach Hause geht.

Sonntag, 4. November 2018

Das Ende der Welt war erst der Anfang – Von Patagonien zum weißen Kontinent



Jetzt wird’s richtig kalt! In 3 Tagen startet meine große Expedition in die Antarktis. Wenn schon eine Runde um Welt, dann richtig. Ich hätte mal nicht gedacht, letztendlich alle 7 Kontinente durchreisen zu können, aber manchmal fügt sich eben einfach alles. So wie jetzt. Wie man dazu kommt? Ich habe vor einigen Wochen alle erdenklichen Expeditions-Agenturen angeschrieben und tatsächlich einen der raren Restplätze ergattern können.

Ein Blick zurück: Meine Reise durch Patagonien verlief ein wenig anders als geplant. In Ushuaia auf Feuerland angekommen musste ich schnell feststellen, dass es hier am „Ende der Welt“ nicht allzu viel zu tun gibt. So führte meine Reise weiter in das Herz Patagoniens, um mich schon mal ein wenig auf die Temperaturen einzustimmen und meinen Körper für die Expedition in Form zu bringen. Mich zog es direkt nach El Chaltén – einem kleinen Bergdörfchen, welches nur über eine stundenlange Busfahrt zu erreichen ist und inmitten von hohen schneebedeckten Gebirgen liegt. 
El Chaltén
Zahlreiche Trekkingwege starten von hier in den Nationalpark ‚Los Glaciares‘, welcher völlig kostenfrei allen Besuchern zum Wandern und Campen zur Verfügung steht. Die Routen sind unglaublich schön, gut ausgeschildert und nicht zu überlaufen. Zwei Tage wanderte ich mit Maria aus Finnland zu den für Patagonien berühmten Bergen ‚Fitz Roy‘ und ‚Cerro Torre‘ – über 3000m hohe Granitberge. Der Weg dorthin führt durch Wälder voller gewundener knochiger Bäume sowie über weite Felder und Flüsse. Das Wasser ist so klar und rein, dass man es bedenkenlos trinken kann. An den Zielen angelangt erwarteten uns Bergpanoramen – eins schöner als das andere: Gigantische schneebedeckte Gebirgsketten ragen spitz in den Himmel, welche von unzähligen Seen und Gletschern umgeben sind. 
Cerro Torre
Fitz Roy
Nur der Weg zurück wurde zur Tortur. Ein heftiger Schmerz durchzog mein Knie, welcher mit jedem Schritt schlimmer wurde. 5 km war das Dorf noch entfernt. Die schlimmsten und längsten 5 km meines Lebens. Es wurde tagelang nicht besser und die Antarktis-Expedition rückte näher. Aufgrund mangelnder medizinischer Versorgung in dem Bergdorf sowie fehlendem Bargeld (die Automaten waren leer!) fuhr ich zurück in die nächste größere Stadt. Da mein medizinisches Fachenglisch nicht das Beste ist, gehe von entzündeten Bändern und einer inneren Schwellung des Gelenks aus. Ich bekam eine (sehr stimmungsaufhellende😅) Injektion, Schmerzmittel und Ruhe verordnet. Tja… Da ist man an einem der schönsten Wanderorte der Welt und kann nicht wandern gehen. So entspannte ich im Hostel, schaute mir die Landschaft mit dem Bus an und machte das Beste daraus. 
Hostelleben

Wer schon mal in Patagonien war, wird vom 'Perito-Moreno-Gletscher' gehört haben – einem der größten Gletscher der südamerikanischen Anden. Kilometerlang zieht sich die Gletscherzunge über den See. Gewaltig laut knackte und brach das bläulich schimmernde Eis-Massiv, wovon riesige Eisbrocken von den Rändern mit einem lauten Krachen und großen Schwall in das Wasser hinabstürzten. Die oberste Schicht des Gletschers sieht dagegen wieder ganz anders aus – wie ein weites Feld voller spitz aus dem Boden ragender Eisstacheln. Beeindruckend!

Einmal quer mit dem Bus bis Chile und zurück schaute ich mir ebenso den bekannten Nationalpark 'Torres del Paine' an. Zahlreiche Hügel, Flüsse, Wasserfälle und milchig-türkisblaue Seen verzierten die Landschaft um die dicht gedrängten hohen Berge. Im Vergleich zu dem nicht weniger schönen El Chaltén ist es hier jedoch um einiges kostenintensiver und touristischer. 
 
 

Nun bin ich wieder in Ushuaia (am untersten Zipfel Südamerikas) angekommen und genieße noch ein wenig Ruhe in der der kleinen am Hafen gelegenen Stadt. Der bunte Ort liegt auf einem Hang zwischen einer schneebedeckten Gebirgskette zur einen und dem zur Antarktis führenden Meer zur anderen Seite. Die Sonne strahlt bei eisigen Temperaturen und lässt meine Vorfreude auf den weißen Kontinent nur noch größer werden. Eine Spezialität, die in allen Restaurants zu finden ist, ist die Antarktische Riesenkrabbe zu recht günstigen Preisen. Die Krabben werden regelrecht zur Bedrohung der Lebewesen in den flachen antarktischen Gewässern. Bislang hatte sie die Kälte zurückgehalten, aber mit der zunehmenden Erwärmung kommen sie nun der Antarktis immer näher und könnten das ganze Ökosystem auf den Kopf stellen. Da werde ich wohl noch ein paar Krabben essen müssen. 😉 
Ushuaia - Am Ende der Welt

Jetzt heißt es letzte Vorbereitungen für die Antarktis treffen: Einkaufen, Ausrüstung checken und tief durchatmen! Die Aufregung steigt!